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Amerika
Für Menschen, die Hotels mögen
Hotelbericht

Corippo, Corippo Albergo Diffuso

Rückkehr zum Wesentlichen

Die zweite Station meiner Reise durchs Ticino liegt nördlich vom Lago Maggiore, im Verzascatal. Der Schweizer Postbus bringt mich durch hübsche Orte, vorbei an der großen Verzasca-Staumauer bis hinauf nach Corippo.

In dem alten Dorf befindet sich das zweite „verstreute Hotel“ des Tessins, das Corippo Albergo Diffuso, das ich nach der La Casa dei Gelsi in Scudellate besuchen möchte.

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Auf meine Frage nach dem Weg werde ich an der Bushaltestelle gefragt, was ich denn in Corippo wolle? Da gäbe es ja nichts. „Doch“, ist meine Antwort, „ein Hotel und ein wunderbares Restaurant“.

Corippo Albergo Diffuso – Reduktion aufs Wesentliche

Schon von der Straße aus kann ich das Dorf sehen. Eingebettet in wilde Natur und umgeben von steilen Berghängen thront es über dem Tal. Zu Fuß steige ich über eine Brücke einen alten Weg hinauf. Oben angekommen, begrüßen mich die Wirtsleute Jeremy und Désirée zusammen mit dem kleinen Sohn, den neugeborenen Zwillingsmädchen und dem freundlichen Hund der Familie. 


Nach dem Check-in beziehe ich mein Zimmer „Siro“ direkt am Hauptplatz. Die original erhaltene Zimmerdecke zeugt von jahrhundertelanger Nutzung, die alten Holzbalken sind schwarz gefärbt von Ruß. Wie ich später erfahre, waren Kamine nicht in allen Häusern gebräuchlich, die Leute ließen einfach die Türe einen Spalt offen, damit der Rauch abziehen konnte. 


Das Zimmer ist klein, die Decke niedrig, viel Platz gibt es nicht. Aber ich vermisse nichts: Die Kleider finden in einem geschickt in eine Nische platzierten Schrank Platz, in einem Regal entdecke ich einen Fön. Das Interieur zeugt von Geschmack und der Liebe zum Detail. Das Bett ist bequem, verschiedene Kissen sorgen für die richtige Lage. Einfach, aber sehr gelungen: Die Vorhänge sind aus Filz, zum Verdunkeln wird ein am Stoff befestigter Ring an dem Haken auf der anderen Fensterseite eingehängt. Interessante Sperrholzelemente und puristische Lampen bilden einen modernen Kontrast zu den alten Strukturen.


Im Bad findet sich eine minimalistische, aber stylische Armatur. Einziger Kritikpunkt: Nach dem Duschen muss man den Boden trockenwischen, sonst gibt es nasse Füße.

Alle Räume – auch der Empfang und der Frühstücksraum – sind durchdacht und zeigen die Handschrift eines Architekten. 


Zur Begrüßung liegen in meinem Zimmer Feigen und Birnen aus dem hoteleigenen Garten bereit, dazu köstliche Amaretti-Kekse.

Ein Ortsbild wie vor 100 Jahren

Ich bin gespannt auf das Dorf und starte zu einem Rundgang. Der ganze Ort steht bereits seit 1975 unter Denkmalschutz. Das eigentliche Ziel der Stiftung Fondazione Corippo bestand darin, das 1224 erstmals erwähnte Haufendorf wieder zu einem Ort zu machen, in dem Familien leben. Dieser Plan scheiterte daran, dass keiner dort dauerhaft bleiben wollte. Die Häuser waren einfach zu klein und neue Gebäude durften nicht errichtet werden.

2017 fiel dann die Entscheidung, aus Corippo ein Albergo Diffuso nach italienischem Vorbild zu machen. Und so öffnete 2022 schließlich das Hotel Corippo Albergo Diffuso seine Pforten. 


Aktuell leben elf Bewohner das ganze Jahr über in Corippo, die Wirtsfamilie eingerechnet. (Obwohl – jetzt sind ja gerade zwei ganz junge Einwohnerinnen dazugekommen!) 


Die insgesamt zehn Zimmer des Hotels sind auf mehrere Häuser im Dorf verteilt. Dazu gibt es noch die Osteria als zentralen Treffpunkt. 


Alle Häuser sind aus Granit, sogar die Dächer sind mit den grauen schweren Steinen gedeckt. Jedes Rustico ist anders – und doch bilden alle Gebäude ein geschlossenes Ortsbild. Die Wege im Dorf bestehen aus unregelmäßigen Steinen, man muss aufpassen, dass man nicht stolpert. Alles ist original erhalten, ich fühle mich tatsächlich zurückversetzt in eine Zeit von vor hundert Jahren oder länger.

Die Grundfläche der Häuser ist klein, dafür sind sie mehrstöckig. So konnte die Wärme damals gut nach oben steigen und machte das Leben bei kalten Temperaturen erträglicher.

Nachhaltigkeit gehört hier zum Konzept

Beim Check-in bekommt jeder Gast zwei handgemachte Seifenstücke aus Kastanie: eine Seife für den Körper und ein festes Shampoo. Damit keine Reste weggeworfen werden müssen, darf man die Seifen mit nach Hause nehmen. Das Wasser kommt direkt aus dem Verzascatal, wird aufbereitet und in schlichte Glasflaschen abgefüllt. Transportweg: 0 Kilometer.

Slow Food-Küche vom Feinsten

Nachhaltigkeit spielt natürlich auch in der Küche eine wichtige Rolle. Koch Jeremy Gehring legt mit seiner jungen Crew großen Wert auf lokale und saisonale Produkte und fühlt sich der Slow Food Bewegung verpflichtet. 


Er verwendet überwiegend heimische Produkte wie Fleisch und Käse aus dem Tal und Fisch aus dem nahe gelegenen Lago Maggiore – Forellen, Zander und Hecht finden sich oft auf der Speisekarte. Eine von Jeremys Lieblingszutaten ist jedoch die Ziege: sowohl das Fleisch als auch Ziegenkäse in jeglicher Form inspirieren ihn. 


Nach Stationen in Sterne-Küchen in Peru, Argentinien, Frankreich, Italien und den Falkland Inseln ist er zusammen mit seiner Frau seit einigen Jahren im Tessin heimisch geworden. Gemeinsam führen sie das Hotel, sie ist für das Management zuständig, er für die Küche. Ambitionen auf einen Stern hat er nicht. Er möchte lieber für alle kochen, seine Gerichte sollen für Einheimische und Touristen gleichermaßen erschwinglich sein.

 „Luxus findet man dort, wo man ihn nicht erwartet.“

Diesem Zitat von Jeremy kann ich nur zustimmen, denn auf den ersten Blick erscheint das graue, steinerne Dorf hoch auf einem Hügel eher unwirtlich. Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich als ein Kleinod, das neben der Ursprünglichkeit und Schlichtheit auch durch die hervorragende Küche in der Osteria gewinnt. 


Auf meine Frage, was für ihn persönlich Luxus bedeutet, antwortet er, Zeit für seine Familie zu haben, die Natur zu genießen, Ruhe zu finden. Gutes Essen, gutes Wasser. Konzentration auf die wesentlichen Dinge im Leben. Und genau dieses Credo spiegelt sich im Hotel wider. 


Die Gäste vom Corippo Albergo Diffuso finden ihren Luxus in der Natur, der einzigartigen Architektur des Dorfes und darin, auf Zeit Teil des Dorfes zu sein.

Das geht übrigens das ganze Jahr über. Die Temperaturen im Tessiner Winter sind mild und alle Zimmer sind mit einer Heizung ausgestattet. 


Meinen persönlichen Luxus in Corippo habe ich in Jeremys Gerichten gefunden: Begeistert haben mich die leckeren Horsd’œuvre (kleine knusprige Brotscheiben mit Frischkäse und Salzzitrone) und ein köstliches Olivenöl, das mit frisch gemahlenem Salz verfeinert und mit warmem Brot erst richtig seinen Geschmack entfaltet. Oder der Salat mit Rucola, Feigen und (natürlich) frischem Ziegenkäse.

Geschmacklich – und besonders farblich – beeindruckend war der Heidelbeer-Risotto mit Büscion-Ziegenkäse (einem leichten, cremigen Frischkäse in Zapfenform – einer typischen Tessiner-Spezialität). Nicht zu vergessen: die spicy Tomaten-Gazpacho mit Burrata und eine göttliche Prosecco-Zabaione. Chapeau!

Mit dem Bus durchs Verzascatal

Am nächsten Tag will ich das obere Verzascatal erkunden. Das für Hotelgäste kostenlose Ticino-Ticket macht’s möglich. Mit dem Postbus fahre ich bis zum Talschluss nach Sonogno, genieße mittags im Grotto Efra typische Tessiner Küche und besuche anschließend das Museum Val Verzasca am Ortseingang. Museumsguide Luca erzählt mir spannende Geschichten über die vermeintlich gefährlichen Einwohner des Verzascatals, die in einer unverständlichen Sprache redeten und mit Macheten bewaffnet herumliefen. Fakt ist: Im Verzascatal gibt es heute noch von Dorf zu Dorf unterschiedliche Dialekte und die Macheten entpuppten sich als Sicheln zum Mähen von Viehfutter. 


Auf dem Rückweg nach Corippo steige ich in Lavertezzo aus dem Bus, um auf einem Wanderweg am Flussufer die letzten Kilometer zu Fuß zurück zu legen. Dabei bietet sich die ein oder andere Stelle, ein Bad im smaragdgrünen Wasser der Verzasca zu nehmen. Nach einem strammen Fußmarsch (um noch ein paar Kalorien zu verbrennen) nähere ich mich freudig dem kleinen Dorf, weil ich weiß, dass mich dort schon Jeremys große Küche erwartet.

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