Welschnofen, Engel Ayurpura
Achtsamkeit üben mit Ayurveda: mein Selbstversuch
In einer Zeit, in der Begriffe wie Achtsamkeit, Selfcare und Mindfulness in den sozialen Medien als ultimatives Patenrezept gefeiert werden, um besser mit den politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten umzugehen, drängt sich mir eine Frage auf: Wer hat als Achtsamkeits-Anfänger wirklich die Zeit und die Ruhe, um im Alltag wirkungsvoll Übungen zu praktizieren?
Ich jedenfalls nicht. Deshalb beschließe ich, mir Unterstützung zu holen und eine Auszeit zu nehmen.
Mein Ziel: Welschnofen, ein idyllisches Dorf nur 30 Minuten von Bozen entfernt. Dort, inmitten der Dolomiten im beschaulichen Eggental, liegt das Boutique Hotel Engel Ayurpura, das sich auf ganzheitliches Ayurveda und Panchakarma spezialisiert hat.
Design als Ruhequelle
Schon bei meiner Ankunft im Engel Ayurpura wird klar: Mein Alltag bleibt draußen.Das Design der Lobby ist minimalistisch, aber nicht kühl, mit viel Sinn für Ästhetik. Helles Holz, moderne Möbel und natürliche Farbtöne schaffen eine Atmosphäre, eine Leichtigkeit, in der man mühelos den Kopf frei bekommt.
Das ästhetische, cleane Gestaltungskonzept begeistert mich auch in meiner Design Suite. Auf 50 Quadratmetern, mit einer Deckenhöhe von fünf Metern, warten ein Hästens-Bett (angeblich das beste Bett der Welt), ein offenes Bad mit freistehender Wanne, eine eigene Sauna und ein weitläufiger Panorama-Balkon auf mich. Die riesigen Fenster bieten einen direkten Blick auf die Dolomiten, und die Präsenz der Natur tut einfach nur gut.Bewusst das Hier und Jetzt genießen, fällt in diesem Umfeld schon mal nicht schwer und ich bin gespannt, was kommt. Und es kommt einiges. Angefangen mit einer herrlichen Entgiftungsmassage gleich am Anreisetag.
Ayurvedische Ernährung
Erwartungsvoll begebe ich mich abends ins stylische Restaurant – und meistere meine erste Challenge: Verzicht.
Die Gemüsesuppe mit Leinöl und das Timbale aus Zucchini, Pinienkernen und Sultaninen, geschmort in Koriandercurry und Minze, sind zwar wunderschön angerichtet, aber für meinen Geschmack viel zu wenig gewürzt und überhaupt viel zu wenig.Ich versuche, sehr langsam zu essen und schmecke zunehmend die echten Aromen der Zutaten. Geht doch.
Natürlich gibt es keine Weinbegleitung, auch auf Wasser sollte während des Essens verzichtet werden. Das ayurvedische Prinzip sieht vor, den Körper während der Mahlzeit nicht mit Flüssigkeit zu überladen. Erst zum Abschluss, sozusagen als Dessert, gibt es einen Tee.
Irgendwie macht das alles Sinn, denn ich empfinde eine Leichtigkeit, wie ich sie nach einem genussvollen Dinner so noch nie erlebt habe und schlafe entsprechend tief und fest – ohne rasende Gedanken, die einen sonst oft wachhalten.
Der Lebertee am nächsten Morgen, den ich eine Stunde vor dem Frühstück trinken soll, ist gewöhnungsbedürftig, aber der Blick vom Bett aus auf die in Sonnenlicht getauchte Naturkulisse lenkt mich ab. Ich verliere mich direkt darin – und verpasse mein Morgenyoga.Später am Frühstückbuffet gibt es für mich gekochtes und getrocknetes Obst, klassischen Porridge und ayurvedischen Brei. Ich lasse mir Zeit, der lichtdurchflutete Raum holt die Natur ins Innere und versüßt den Augenblick. Einen Espresso kann ich mir dann aber doch nicht verkneifen – die italienischen Ober haben dafür zum Glück Verständnis.
Pulsdiagnostik mit Dr. Mishra Swami Nadh
Im Anschluss empfängt mich Dr. Mishra Swami Nadh zur ersten Konsultation im Behandlungsbereich. Der in Indien geborene Arzt leitete jahrelang das einzige Ayurveda-Zentrum Italiens in Mailand, bevor ihn Carmen Kohler, Eigentümerin des Engel Ayurpura und selbst Ayurveda-Therapeutin, überzeugen konnte, im Hotel die ärztliche Leitung zu übernehmen.
Unter Fachleuten gilt er als DER Experte für Pulsdiagnostik, einem medizinischen Verfahren im Ayurveda zur tiefergehenden Diagnostik der inneren Balance. Hierbei sind die drei Doshas Vata, Pitta und Kapha und ihre Ausgewogenheit, sprich die ayurvedische Konstitution, ausschlaggebend, auf die auch mein Ernährungsplan für die nächsten Tage abgestimmt wird. (Übrigens, gibt es in der Ayurpura Bibliothek ausreichend Lektüre, um sich als Laie in die indische Heilkunst einzulesen.)
Er misst meinen Puls am Handgelenk mit drei Fingern und definiert aus dem sich ergebenden Raster die diagnostische Bedeutung. Ich bin verblüfft, wie viel er aus diesem einfachen Verfahren ableiten kann. Dr. Mishra Swami Nadh erläutert mir präzise, welche meiner Doshas aus dem Gleichgewicht geraten sind – und vor allem, warum das so ist. Er erkennt Dinge, die ich zwar vermutet, aber noch nie so klar gedeutet bekommen habe.Das muss ich erst mal verdauen – ein ausgiebiger Spaziergang vorbei an Wiesen und Bauernhöfen in Richtung Latemar ist ideal, um die Gedanken zu sammeln.
Effektive Behandlungen durch erfahrene Ayurveda-Therapeuten
Zurück im Zimmer erwartet mich mein individueller Behandlungsplan für die nächsten Tage: Jeweils drei unterschiedliche Anwendungen täglich stehen an und dabei handelt es um alles andere als um klassische Wellness-Treatments. Im Ayurveda sollen die jeweiligen Behandlungen Körper und Seele nicht nur entspannen, sondern echte Heilung bewirken.
Sei es der Stirnguss, Shirodhara genannt, bei dem warmes Öl kontinuierlich auf die Stirn fließt, die Marmapunkt-Massage, eine Art Akupressur, die sensible Vitalpunkte am Körper stimulieren soll, oder die Kräuterstempel-Massage, bei der heiße Kräuterbeutel gleichmäßig über den Rücken gleiten. All diese intensiven Behandlungen erzeugen erwiesenermaßen eine nachhaltige Auswirkung auf Körper, Geist und Seele.
Für meinen Geschmack sind sie anfangs fast ein bisschen zu intensiv, beinahe irritierend, das Gefühl danach ist dafür umso euphorisierender. Ich stelle fest, dass diese Massagen nicht nur körperlich, sondern auch emotional befreiend sind. Die erfahrenen Therapeuten wissen genau, wie sie mit energetischen Blockaden, die sich im Körper manifestieren, umgehen müssen und schaffen es, dass selbst die eingefleischtesten Stresskandidaten zu einem neuen Level der Wahrnehmung finden können.
Ein besonderer Ort, der Achtsamkeit lehrt
Während die Tage vergehen, spüre ich tatsächlich eine Veränderung: Ich genieße den Augenblick bewusster, sei es beim tiefen Atmen inmitten der Stille, bei den Anwendungen, beim Essen oder bei den Spaziergängen, bei denen ich ungestört das Gehörte und Gesehene verarbeiten und das Erlebte reflektieren kann.
Ich bekomme ein tieferes Verständnis für Achtsamkeit und erlebe eine Art innerer Frieden.
Das Gefühl nehme ich mit zurück in meinen Alltag – zusammen mit ein paar wirklich hilfreichen und praktikablen Tipps. Und wünsche mir, dass es noch lange anhält.